Hochsensibel ist nicht gleich hochsensibel. So individuell Menschen sind, so kunterbunt zeigt sich auch der Blumenstrauß aus Hochsensiblen. Es gibt extro- und introvertierte HSPler, diejenigen, die eine angeborene Hochsensibilität besitzen und welche, die durch frühe Entwicklungstrauma eine solche als Überlebensstrategie entwickelten. Jeder HSPler verfügt über eine einzigartige Wahrnehmungsausprägung auf akustischer, visueller, haptischer, olfaktorischer und/oder gustatorischer Ebene. Ebenso unterscheidet die Fachliteratur (nach Elaine Aron „Sind Sie hochsensibel?“ S. 96 ff. und Georg Parlow: "Zart besaitet" S. 34) zwischen den beiden Gruppen der „überstimulierten“ und der „abgekapselten“ Hochsensiblen. HSP-Coach und Psychologin Silvia Harke spricht von „Altruismus“ und „Egozentrik“ (vgl. Silvia Harke: Die Kraft der Selbstliebe. S. 114 - 117).
Egozentriker
Die zweite Gruppe, nach Aron c.a. 61% aller HSPler, zieht sich zu sehr in sich selbst zurück. Aus Selbstschutz isolieren sich diese hochsensiblen Vermeidertypen von sozialen Kontakten und behüten ihre Empfindsamkeit im übermäßigen Maß. Sie eliminieren unnötigen Stress und gehen kaum Herausforderungen im realen Leben (vielleicht noch im virtuellen) ein. Stattdessen sind sie auf die Entwicklung ihrer kreativen Fähigkeiten fokussiert. Regeneration und Sicherheit besitzen bei ihnen einen hohen Stellenwert. Die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse steht im Vordergrund. Gleichzeitig begleitet sie eine gewisse Sinnlosigkeit oder Leere, da sie kaum verbindliche Verantwortung für andere übernehmen. Die Bedürftigkeiten anderer, selbst des eigenen Partners, überfordern sie.
Altruisten
Ich persönlich musste mich in der „Altruismusgruppe“ einordnen. Diese Erkenntnis zeigte mir, dass man von jeder Seite „vom Pferd“ fallen kann. Ich manage eine Familie und Haushalt mit drei Kindern und zwei Haustieren, arbeite fast Vollzeit als Lehrerin, belege nebenbei Fortbildungen und gehe meiner Nebentätigkeit als psychologische Beraterin nach. Obwohl ich meine Gaben und Fähigkeiten ausleben konnte, fühlte ich mich oft wie der Hamster im Hamsterrad. Mein Bemühen war es, den Menschen in meiner Umgebung gerecht zu werden. Ihre Gefühle und Bedürfnisse spüre ich als hochsensible Person so intensiv, als wären es meine eigenen. Letzteres stellte ich oft in gut gemeinter „Nächstenliebe“ zurück. Eine gute Freundin meinte, ich sei ein Mensch mit viel Lebensenergie. Doch dieses Helfersyndrom führte mich immer wieder an den Rand meiner Kräfte. Mein Körper signalisierte eindeutige Stresssymptome: Nackenverspannung, Schlaflosigkeit, Herzstechen.
Die goldene Mitte
Die letzten Jahre durfte ich lernen, was die „goldene Mitte der Hochsensibilität“ bedeutet: Dass ich mich nicht nur für andere aufopfere, sondern mich auch gut um mich selbst kümmere, immer wieder kurze Pausen einlege, meine Kraftquellen in der Natur, im Kreativsein, Tagebuch schreiben und lesen aufsuche. Ich lebe achtsamer im Hier und Jetzt, pusche meinen Körper nicht länger mit Koffein, arbeite für die perfekt konzipierte Unterrichtsstunde keine Nächte mehr durch, sage ein Kollegentreffen ohne schlechtes Gewissen ab und schließe hinter unaufgeräumten Kinderchaos auch einfach mal die Türe. Mein Perfektionismus ist nicht mehr ganz so perfekt, stattdessen menschlicher und barmherziger geworden. Seitdem erfüllen mich meine Aufgaben wieder mit Freude. Statt nur zu funktionieren kann ich das Leben wieder genießen. Ich lebe im Kontakt mit meinem Körper und wertschätze seine feinen Signale. Immer wieder lasse ich mich herausfordern, verlasse meine Komfortzone und achte aber auch auf meine Grenzen. Denn nur Herausforderungen ermöglichen Wachstum. Ja, es passiert immer wieder, dass das „Pendel auf einer Seite ausschlägt“. Doch ich darf täglich die Entscheidung treffen, mich wieder in der gesunden Mitte einzufinden. Auch dich lade ich ein, diesen „Spagat der Hochsensibilität“ zu trainieren. Aus dem Ballettunterricht weiß ich noch: Die anfangs schwierigen Choreographien werden durch Übung zum spielerischen Tanz - zum Tanz des Lebens! Herzliche Einladung dazu!
„Eine größere Gabe, als die zum Maß halten, kann der Himmel keinem schenken.“ (Konfuzius)
Aber auch im Maßhalten sollte man nicht übertreiben! :-)