Von der Ratio und dem Fluss der Intuition

Vor ein paar Tagen verspürte ich das innere Drängen, mich an meine Schulreferentin zu wenden und ihr mitzuteilen, dass ich nächstes Jahr Stunden aufstocken möchte. Dieser Impuls schien zuerst verrückt, hatte sie mir doch vor wenigen Monaten noch mitgeteilt, dass es keine freien Stunden gäbe. Nachdem ich meine Email abgeschickt hatte, kam prompt die Antwort, dass sie vor ein paar Stunden mit der Schulleitung aus meiner Nähe gesprochen hatte. An dieser Schule werden durch personelle Veränderungen wider Erwarten Stunden frei. Sie hätte an mich gedacht, ob ich diese übernehmen könnte. Ich freute mich sehr! Die Frage nun: War es „Zufall“, dass ich genau an diesem Tag den Eindruck verspürte, meiner Schulreferentin zu schreiben?
Ich könnte hier noch eine ganze Liste ähnlicher Erlebnisse aufführen. Doch würde dies den Rahmen sprengen. Was steckt hinter solchen Phänomenen, die mir in meinem Alltag immer wieder begegnen und die ich auch von anderen Menschen kenne? Besonders Hochsensible sind für ihren „sechsten Sinn“ bekannt. Sie nehmen kleinste Kleinigkeiten aus ihrer Umwelt wahr, die neurotypischen Menschen nicht auffallen. Doch, wenn die Umgebung gar keine Impulse sendet oder senden konnte? Kann man sich diese Erlebnisse durch wissenschaftliche Übertragung von Spiegelneuronen erklären? Evolutionsbiologisch wird weibliche Intuition darauf zurückgeführt, dass Frauen zur Arterhaltung auf die Bedürfnisse ihrer Babys eingehen müssen. Doch warum zeigt sich Intuition dann auch in anderen Bereichen, die meinen Nachwuchs nicht betreffen? Und warum besitzen auch Männer diese Fähigkeit? So sehr ich Wissenschaft und Intelligenz schätze: Es muss noch etwas geben, das der Verstand nicht fassen und nicht (be)greifen kann, etwas Überirdisches und Größeres.

 

Einige Menschen behaupten: Alles, was sie nicht verstehen, existiere nicht.

Doch wie arm wäre unser Leben, wie steril und leer, ohne Intuition? Wie sinnlos wäre meine Existenz, ohne Gotteserfahrung, wie reduziert, ohne Eingebung und ohne intuitives Wissen! Es wäre eine Dasein ohne Poesie, ohne Schönheit, ohne Herzensberührung, ohne Sinn und letztendlich ohne Liebe. Ein Mensch, der sich auf das rein Rationale beschränkt kennt keine Inspiration und oder innere Ausrichtung.

Was nützt mir die Erklärung von gekrümmten Lichtstrahlen und die Berechnung geometrischer Horizonthöhen, wenn der Himmel vor mir in Flammen aufgeht und die Welt in ihrer überwältigenden Schönheit ihre Heiligkeit offenbart? Was bringt das Studium von Schallwellen und musiktheoretischen Analysen, wenn mich ein Musikstück tief innerlich zum Schwingen bringt?

 

Das Leben ist so viel mehr, als wir jemals durch unsere wissenschaftlichen Formeln ausdrücken können! Glück kann nicht berechnet werden und die Magie echter Leidenschaft zweier Menschen lässt sich nicht auf Hormonausschüttungen herunterbrechen.

Die Frage ist: Lasse ich mich auf dieses MEHR ein? Bin ich bereit zu fühlen? Bin ich fähig, mich berühren zu lassen? Wage ich den Sprung in eine andere Dimension? Höre ich auf mein „Bauchgefühl“? Lasse ich mich auf diese tiefere Qualität von Leben ein, die nichts mit Naivität, vielmehr aber mit Tiefgang und Sinnhaftigkeit zu tun hat? Für mich beinhaltet dieses tiefere Leben, dass ich mich dem MEHR des Lebens öffne, dass ich mich inspirieren und meine Umgebung auf mich wirken lasse.

Es ist der Weg von äußerlichen Dingen in mein Herz: die tiefe Ruhe eines Waldspaziergangs, die Begegnung mit einem Menschen, ein Satz aus der Bibel der genau in diesem Moment auf meine Lebenssituation passt, ein Lied das etwas in mir berührt, ein Gemälde das meine Herzenssehnsucht ausdrückt usw. Etwas von außen rührt mich innerlich an und das ist wunderschön, heilig.

 

Gleichzeitig erlebe ich auch den umgekehrten Weg: das Geheimnis der Inspiration. Bin ich tief verbunden mit mir selbst, mit meiner inneren Ruhe, meinen inneren Raum, mit Gott, dann erfahre ich, dass etwas aus meinem Innersten heraussprudelt. Vergleichbar mit einer tief verborgenen, inneren Quelle, entspringt eine Idee, ein Gedanke, ein Handlungsimpuls, ein „Sog“ der mich zu etwas hinzieht. Es fühlt sich warm an, fließend und lebendig. In mir taucht ein „Geistesblitz“ auf, den ich vorher nicht hatte. Es kommt mir die zündende Idee für ein Gedicht, die Inspiration für ein Bild, die Worte, die während eines Vortrags aus mir sprudeln – ohne dass ich sie in meinen Vorbereitungen niedergeschrieben hätte. Ich erlebe einen Traum, der mir offenbart, was mein Unterbewusstsein bereits weiß. Der Gedanke an eine Freundin taucht auf, ohne dass der Verstand ahnte, dass sie gerade Hilfe braucht. Es ergeben sich Verkettungen von ungewöhnlicher Fügung, die meinem Leben eine Wende verleihen, Türen öffnen. Genau dies macht mein Leben so reich. Genau in diesem „Fließen“ spüre ich, dass ich lebendig bin und das Leben über meine menschlichen Beschränkungen, mein Denken, mein Wollen und Hinterfragen hinausreicht. Wie dankbar bin ich für diese „Herzintelligenz“, wie Vivian Dittmar sie nennt. Ich sehe sie als unverdientes Geschenk Gottes, das ich entfalten und gebrauchen darf.

Wer denken will, muss fühlen.“ (Vivian Dittmar)